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Phaemo®

Versuch einer Definition durch KONFLIKT.GEWALT.

Hinweis zur Textproduktion: Der Phaemo®-Ansatz besteht seit etlichen Jahren. Er wurde vor allem stark in der praktischen Umsetzung genutzt. Die schriftliche Definition und Erklärung blieb immer lückenhaft. Dieser Text ist ein Versuch, den Ansatz in seinen Begrifflichkeiten und Wirksamkeiten zu fassen und für die Leserschaft verständlich und nachvollziehbar zu machen. Als Quellen dienen etliche Einträge zu Begriffen aus Wikipedia, sowie eigene Überlegungen aus der reflektierten Praxis von ausgebildeten Fachleuten von KONFLIKT.GEWALT. Diese Institution arbeitet seit 2001 nach diesem Ansatz.

Phaemo® ist ein Ansatz in der psychosozialen Arbeit, welcher pädagogische, beraterische und therapeutische Haltungen und Arbeitsweisen umfasst und Bezug nimmt auf verschiedene Theorien der Humanwissenschaften. Er beinhaltet diverse methodische Mittel und Modelle. Ziel von Phaemo® ist es, dass Personen ihre Emotionen spüren/merken/fühlen1, die eigenen Bedürfnisse erkennen und so ein Motiv für Handlungsoptionen finden. Dabei spielen Gefühle/Emotionen2 und Phänomene eine zentrale Rolle.

Phaemo® ist ein Kunstwort. Es beinhaltet die beiden Begriffe Phaenomen – Emotion. Die beiden Aspekte bilden zwei Kernelemente dieses Ansatzes. Nachfolgend werden die beiden Begriffe erläutert.

Phänomene

Ein Phänomen – abgeleitet vom altgriechischen Begriff fainómenon, übersetzt als «ein sich Zeigendes, ein Erscheinendes» ist in der Erkenntnistheorie eine mit den Sinnen wahrnehmbare, abgrenzbare Einheit des Erlebens, beispielsweise ein Ereignis, ein Gegenstand oder eine Naturerscheinung.

Menschliche Wahrnehmung von Phänomenen basiert auf unseren Sinnen. Diese liefern Reize oder auch Informationen an das Gehirn. Die Verarbeitung dieser Informationen ist ein komplizierter biochemischer Prozess. Dabei spielen Emotionen eine bedeutende Rolle, dazu später mehr. Im Folgenden eine Beschreibung der Wahrnehmung eines Gegenstands als Phänomen:

Wenn ich einen Gegenstand wie eine Schaufensterpuppe in einem Modegeschäft anschaue, bin ich herausgefordert dieses Bild zu lesen. Ich gebe ihm in meiner Deutung einen Sinn, eine Sinnhaftigkeit. Und: ich kann dazu eine Bewusstheit schaffen. Ich erbringe also eine kognitive Leistung, in dem ich bewusst die Schaufensterpuppe als solche erkenne und ihr den Sinn gebe, dass sie zum Beispiel Kleider ausstellen soll. Diese Konstruktion ist subjektiv. Das heisst: Ich sehe und erkenne die Schaufensterpuppe auf meine individuell begrenzte Weise. Andere Personen könnten andere Aspekte erkennen und deuten. Damit wird auch deutlich, dass es nicht EINE Sicht und EINE Wahrnehmung der Wirklichkeit, gibt. Vielmehr schaffe ich durch meine Konstruktion einen Bezug zwischen mir und der Schaufensterpuppe: ich schaue als Person vor dem Schaufenster diese Figur im Laden an und gebe ihr einen von mir konstruierten Sinn. Wenn sich diese Schaufensterpuppe nun plötzlich bewegt und als eine pantomimische Person zeigt, bin ich herausgefordert, dieses Phänomen neu zu lesen, zu deuten und einen neuen Sinn zu geben. Diese Konstruktion meiner Wirklichkeit nimmt Einfluss auf mein Verhalten. Während ich die als Schaufensterpuppe gedeutete Figur recht entspannt betrachtete, bin ich vielleicht beim Anschauen der pantomimischen Figur zurückhaltender, weil ich weiss, dass diese Person meinen Blick erkennen und mit mir interagieren kann.

Die Schaufensterpuppe können wir als Synonym für Phänomene sehen. Es ist eine Inszenierung in der Welt. Und ich werde mich dazu verhalten, in dem ich deute und eine Sinnhaftigkeit schaffe. Dabei sind Interpretationen und Wertungen immer mögliche Fehlerquellen. Deshalb ist es wichtig, Phänomene möglichst ursprünglich wahrzunehmen.

Ähnlich wie mit der Schaufensterpuppe verhält es sich mit physischen und psychischen Phänomenen bei uns Menschen. Es sind Signale oder Quellen, welche wir nutzen können, um die Welt in und um uns und deren Sinn zu erfassen. Durch die Phänomene erscheint uns sozusagen die Welt in uns. Und durch Phänomene zeigen wir uns in der Welt. Wir erfassen die Welt an sich und unser Sein in der Welt.

Emotionen

Etymologisch ist das deutsche Wort Emotion (siehe Fussnote 2) dem gleichbedeutenden französischen émotion entlehnt, das zu émouvoir (dt. bewegen, erregen) gehört. Dieses Wort entstammt dem lateinischen emovere (dt. herausbewegen, emporwühlen). Gefühle werden deshalb als eine Gemütsbewegung und seelische Erregung beschrieben. Oder auch als psychophysische Bewegtheit, die durch die bewusste oder unbewusste Wahrnehmung eines Ereignisses oder einer Situation ausgelöst wird.

Emotionen können unterschiedliche Erscheinungsformen haben. Es erweist sich als schwierig, objektiv messbare Ausdrücke zu einzelnen Gefühlen zu definieren und diese physisch exakt zu lokalisieren. Es gibt aber die sinnvolle Unterscheidung der physischen und psychischen Expression. Hunger, Durst, kalt, warm, müde, wach etc. können als physische Zustände benannt werden. Dazu ergänzend bewegen sich die psychischen klarer bei den klassischen Gefühlsbegriffen: Trauer, Angst, Freude etc. Physische und psychische Erscheinungsformen können sich kombiniert zeigen und eine wechselseitige Relevanz haben. Ich kann also auf Grund von Nervosität und Angst auch frieren, oder ich kann schwitzende Hände haben vor lauter Aufregung und Vorfreude. Auf der anderen Seite kann ich auch einfach nur körperlich hungrig sein nach einer gewissen Zeit ohne Nahrungsaufnahme.

Gefühle sind also verhaltensauslösend und verhaltenssteuernd. Das heisst, dass wir auf Grund der erlebten Gefühle ein Verhalten vollziehen. Gefühle können je nach auslösendem Ereignis unterschiedlich ausgeprägt sein und variabel erlebt werden.

Und: Sie können bewusst wahrgenommen werden.

Die Aufzählung einer Sammlung von Begriffen, die Emotionen bezeichnen, scheint nicht abschliessend möglich. Trotzdem kann eine Klärung, was Begrifflichkeiten zu Gefühlen/Emotionen sind und was nicht, für die Phaemo®-Arbeit wertvoll und nützlich sein.

Begriffe, die in der Literatur wiederholt erscheinen und in verwandten Begriffsgruppen von Gefühlen eingeordnet werden können, sind beispielsweise:

  • Freude, Stolz, Begeisterung
  • Ärger, Wut, Hass, Zorn, Empörung, Entsetzen
  • Ekel, Abneigung
  • Angst, Furcht, Schüchternheit, Panik, Ehrfurcht, Sorge, Stress, Druck, Hilflosigkeit, Ratlosigkeit, Machtlosigkeit, Ohnmacht, Verzweiflung, Verunsicherung, Eifersucht
  • Trauer, Traurigkeit, Leid, Einsamkeit, Kummer, Melancholie, Schmerz, Schwere
  • Überraschung, Schock
  • Lust, Neugierde, Interesse, Neid, Sehnsucht
  • Scham, Peinlichkeit
  • Schuld, Verantwortung

Liebe und Glück sind Begriffe, welche häufig als Gefühl oder im Zusammenhang mit Gefühlen genannt werden. Dabei ist anzumerken, dass sich im Erleben von Liebe und von Glück meist eine Vielfalt an Gefühlen zeigen. Wenn Eltern ihr Kind lieben, merken sie manchmal Freude, dann wieder Ärger, Sorge oder auch Trauer. Und Glück kann beispielsweise als Momente von umfassender Entspanntheit, der tiefgehenden Freude oder auch als Abwesenheit von Angst oder Schuld erlebt werden.

Diese Aufzählung ist nicht abschliessend und durchaus diskutabel, je nachdem, wie Begriffe gefüllt oder besetzt sind.

Dem gegenüber stehen die nachfolgenden Begriffe eher für Verhaltensweisen – aus verschiedenen Gefühlen heraus, beispielsweise:

  • Verachtung: eine Person abwerten, sie missachten …
  • Vertrauen: zu einer Person Vertrauen zeigen/entwickeln, sich sicher sein, zu einer Person eine stabile/tragfähige Beziehung haben …
  • Widerwillen, Verweigerung: eine Form der Abneigung, der Antipathie, allenfalls ein Widerstand …
  • Mitleid: eine Form der Empathie, kann auch Ausdruck der Sorge oder Angst um eine Person sein, das Leid einer anderen Person gut nachvollziehen und verstehen können …

Diese Liste ist noch weiterzuführen und zu ergänzen mit weiteren Handlungsbegriffen.

Phaemo® – das Zusammenspiel von Phänomenen und Gefühlen/Emotionen

Menschen in begleiteten Veränderungsprozessen brauchen Orientierung und Klarheit. Der Phäemo®-Ansatz bietet dazu zwei wesentliche Quellen. Zum einen geht es um das möglichst präzise Wahrnehmen der Phänomene. Sie sollen nicht oder zumindest nicht vorschnell interpretiert und gewertet, sondern möglichst beschreibend erfasst werden. Zum anderen bieten die Gefühle eine wertvolle Fülle an Signalen, welche stark, unmittelbar und passend mit den Phänomenen korrespondieren.

In der Phaemo®-Arbeit unterstützt die beratende/therapierende Fachperson Menschen, sich selber, das eigene Sein und Agieren in der Welt besser wahrzunehmen und zu erkennen und entwicklungsfördernde Handlungsoptionen zu entwickeln.

Originäre und derivate Gefühle/Emotionen

Phaemo® unterscheidet zwischen originären und derivaten Gefühlen. Originär sind Gefühle, welche von einem selbst und auch von der Umwelt als passend und wahrhaftig zum Sein in der Welt, also den Phänomenen, erlebt werden. Sie sind «echt» in dem Sinne, als dass sie neuronal sichtbar gemacht werden können. Neuronal bedeutet, dass die Aktivitäten im Gehirn mit bildgebenden Verfahren eruiert werden können. Sie sind also nachweisbar. Ebenso werden durch Emotionen Hormone wie z.B. Serotonin, Adrenalin, Oxytocin usw. ausgeschüttet. Derivate Gefühle sind ablenkende, allenfalls stellvertretende Expressionen, welche von den originären Gefühlen wegleiten. Sie sind «leer» bzw. «unecht» in dem Sinne, dass sie antrainiert und angeeignet werden und nicht eine originäre Sinnesreaktion auf ein Phänomen sind. Wenn z.B. bei einer Bedrohung derivater Ärger produziert wird, obwohl die Bedrohung eigentlich originär Angst auslöst.

Der Grund, warum Menschen derivate Gefühle produzieren, ist, dass wir im Verlaufe des Lebens eine Wertung erlernen, welche Gefühle wir leben und zeigen dürfen, und welche wir besser verstecken, tarnen oder gar abtrainieren. Diese Wertung ist in der Regel für Männlichkeit und Weiblichkeit gesellschaftlich unterschiedlich gedacht und wird zusätzlich individuell geprägt. In einem traditionellen Bild wird zum Beispiel Männern die Angst und der Schmerz abtrainiert, ganz gemäss dem Leitspruch: «Echte Männer haben keine Angst und halten den Schmerz aus». Und bei Frauen darf die Wut nicht sein. Für sie gilt die Maxime: «Sei nett und lehne dich nicht auf». Dazu gibt es in der Gesellschaft eine starke Wertung von Gefühlen an sich. Dies wird sprachlich deutlich in den Aussagen «Mir geht’s gut.» oder «Ich fühle mich unwohl.». Dabei werden nicht die originären Gefühle an sich, sondern vielmehr die Wertung dieser dahinterliegenden Gefühle benannt. Und zum Dritten besteht ein grosser Entwicklungsbedarf betreffend dem Spüren/Merken/Fühlen der Gefühle und deren ausdrücklichen Benennung. Viele Menschen haben wenig Sprachschatz und Begrifflichkeiten zu Gefühlen. Entsprechend ist oft eine grosse Sprachlosigkeit betreffend der eigenen Befindlichkeit zu finden.

Einsatzorte von Phaemo®

Der Phaemo®- Ansatz wurde seit Mitte der 1980er Jahren in der Gewaltberatungsarbeit entwickelt und hat sich inzwischen als umfassender Beratungs- und Therapieansatz etabliert. Häufige Themen sind innere und äussere Konflikte, Überforderungen, Beenden von Fremd- und Selbstabwertung, Grenzverletzungen und Gewalttätigkeiten, Krisen, Regulierung von Herausforderungen, existenziellen Entscheidungen usw. Zusammengefasst fördert der Phaemo®-Ansatz die Fähigkeit, sich bewusster zu werden, die eigenen Grenzen und Möglichkeiten zu erkennen und damit sorgfältiger mit sich und anderen umzugehen.

Aus- und Weiterbildungen zu Phaemo®

Gründer und hauptsächlicher Entwickler dieses Ansatzes ist Joachim Lempert. Er bietet im Rahmen seines Instituts auch eine Fortbildung an. Mehr dazu auf seiner Website: www.lempert.eu


  1. Sprache ist immer begrenzt und hat viel auch mit der Sprachsozialisation zu tun. Bei den Gefühlen gibt es grosse Unterschiede im individuellen Wortgebrauch, was das Erleben dieser inneren Regungen betrifft. Wir verwenden in diesem Text die drei Begriffe spüren/merken/fühlen in einer Aufzählung, um eine Vielfalt in den Zugängen zu ermöglichen.
  2. Nach wie vor ist sich die Wissenschaft und Forschung nicht einig, was genau Gefühle und/oder Emotionen sind. Im vorliegenden Text werden die beiden Begriffe synonym verwendet. Für den Phaemo®-Ansatz ist eine Unterscheidung nicht bedeutend.

Texterstellung: Urban Brühwiler in Kooperation mit dem Fachkollegium von KONFLIKT.GEWALT.
Quelle: Wikipedia-Recherche, 2020/21/22, zu Phänomenologie und Emotionen:

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